Bye-bye, SZ – Ohne Fußball wird’s für Jörg Marwedel nicht gehen

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Bye-bye, SZ – Ohne Fußball wird’s für Jörg Marwedel nicht gehen

Nach 19 Jahren als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung ist Jörg Marwedel gerade in Rente gegangen. Rente? Doch nicht für einen wie ihn.

Kennengelernt haben wir uns vor schätzungsweise 30 Jahren. Ich hatte als Praktikant einen Text geschrieben und in der Redaktion des Bezirkssports des Hamburger Abendblattes abgegeben. Kaum war ich wieder zuhause, ging das Telefon. „Jörg Marwedel.“ Er habe gerade meinen Bericht gelesen, und er hätte da ein paar Ideen, wie man den Text nooooch besser machen könnte. Und dann erklärte er mir Punkt für Punkt die Mängel der Geschichte, und es waren viele. Jörg Marwedel aber sagte am Ende des Telefonats sehr freundlich und sehr milde: „Das war schon ein ganz guter Versuch.“ Was für ein angenehmer Kollege!

Aus der Tatsache, dass diese kleine Anekdote nun schon drei Jahrzehnte alt ist, erschließt sich der Grund, warum diese Zeilen überhaupt entstehen. Denn vor ein paar Tagen hat sich Jörg Marwedel, tatsächlich schon 65 Jahre alt, in den Ruhestand verabschiedet. Nach mehr als 30 Jahren im Journalismus. Nach 19 Jahren als Hamburger Sport-Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung wird künftig ein neuer Name unter den SZ-Texten zum HSV und FC St. Pauli stehen. Man wird sich umgewöhnen müssen.

Gelernt hat Jörg Marwedel bei Gruner & Jahr Verlagskaufmann, aber es war schnell klar, dass Zahlen ihn weniger, und wenn dann nur in Fußball-Ergebnislisten interessierten. Schon vor Beginn der Ausbildung hatte er für die Hauptstraße, eine lokale Zeitung in den Elbvororten, geschrieben. Und als die Zeitung während seiner Zeit bei Gruner & Jahr in Schwierigkeiten geriet, schmiss er kurzerhand die Lehre, um das Blatt (mit) zu retten. Vergeblich übrigens. Nach sechs Wochen machte die Hauptstraße dicht, und Marwedel klopfte wieder an die Tür des großen Verlagshauses.

In einem Verlagsbüro ist er nie angekommen, der Journalismus reizte ihn

„Ich hatte Glück, dass mich Gruner & Jahr wieder aufgenommen hat“, erzählt Marwedel. „Heute wäre das vermutlich unmöglich.“ Trotzdem: In einem Verlagsbüro ist er nie angekommen. Denn eigentlich wusste er ja schon immer, was er werden wollte. So begann er nach der Lehre erst einmal als freier Mitarbeiter und schrieb unter anderem für den stern über Themen wie die „Wiedereingliederung der Biber“.

Dann der erste feste Job im Bezirkssport des Hamburger Abendblattes. Schnell der Aufstieg zum so genannten Hauptsport, unter den strengen Augen von Ressortchef Klaus Stampfuss gleich verantwortlich für die Berichterstattung über den damals noch großen HSV mit Manager Günter Netzer und Trainer Ernst Happel. Dann als Verantwortlicher für die Nationalmannschaft zur Deutschen Presse Agentur, schließlich zur Welt am Sonntag und dann 19 Jahre Süddeutsche Zeitung.

Die Großen des Sports haben ihm vertraut, zu Recht. Marwedel ist kritisch, aber fair. Mit dem großen HSV-Trainer Ernst Happel verband ihn eine besondere Beziehung. Am Anfang machte sich der Österreicher lustig über den „Schreiberling“ mit der Nickelbrille: „Schaust aus wie ein Firmling.“ Als Marwedel später vom Abendblatt zur dpa wechselte, war Happel erleichtert: „Dachte schon, du gehst zur Bild. Aber wenn man a Feder hat wie du, kannst ja net zur Bild gehen.“ 

Nach einem Schlaganfall kämpfte er sich zurück ins normale Leben

Die eigene Fußballkarriere geriet ein wenig überschaubarer. Als Schüler stand er mit dem Team des Gymnasiums Blankenese im Volksparkstadion im Endspiel um die Hamburger Schulmeisterschaft, 2:4 ging’s aus. Mit den Senioren von Komet Blankenese stand er zweimal im Hamburger Pokalfinale.

Aber als er sich vor 14 Jahren nach einem Schlaganfall zurück ins normale Leben kämpfen musste, gab ihm auch die Aussicht, wieder in der Startelf von Komet zu stehen, Kraft. Der Schlaganfall hatte sein Sprachzentrum getroffen, eine Katastrophe für einen Journalisten. Vieles musste er neu lernen, aber die Süddeutsche stand zu ihm, und nach fünf Monaten war er wieder da, führte Interviews, schrieb Texte.

Und jetzt? Natürlich wird ihn der Sport, und vor allem der Fußball nicht loslassen, wie auch? Für die Süddeutsche will er als freier Mitarbeiter weiter schreiben. Er will zurückkehren zu seinen Wurzeln im lokalen Journalismus. Statt der Hauptstraße gibt es dort nun das Elbe Wochenblatt, und die Leser können sich schon jetzt auf „JÖM“-Texte auch abseits des Sports freuen. 

Ein Haus im Wendland als ganz neues Projekt

Und schließlich gibt es da noch ein ganz neues Projekt. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin hat er nämlich gerade ein schmuckes Haus im Wendland gekauft. Natur pur, früher Zonenrandgebiet mit Zwischenlager, heute Künstlerparadies mit historischen Bauten und Landschaft, soweit das Auge reicht. Ein Badesee befindet sich eine Minute von der Hauspforte des neuen Marwedelschen Paradieses entfernt.

In den vergangenen Wochen haben die beiden begonnen, drinnen und draußen alles nach ihrem Geschmack herzurichten, Möbel und Accessoires zusammenzutragen, viel im Garten gearbeitet. Und der Sommer war sonnig und heiß. „Jeden Morgen im Garten zu frühstücken, war wunderbar“, sagt Marwedel. Er könne sich vorstellen, irgendwann zur Hälfte in Hamburg und zur Hälfte im Wendland zu wohnen.

Übrigens, sagt er dann, Wolfsburg läge ja nur 90 Kilometer weit entfernt. Vielleicht braucht die SZ mal einen Bericht über ein Bundesliga- oder Europa-League-Spiel des VfL Wolfsburg. Ganz ohne Fußball wird’s nicht gehen!

Text: Andreas Eckhoff / Foto: privat

14.09.2020|Allgemein|